Nachdem das »Lied der Partei« letztens schon bei Autoren und Lesern für feuchte Augen gesorgt hat, habe ich mich als Kulturbeauftragter des Kollektivs entschlossen, künftig in loser Folge das Kulturschaffen der werktätigen Arbeiter, Bauern und Geistesschaffenden zu dokumentieren. Eigens dazu wurde von der Partei die nagelneue Rubrik »Zirkel schreibender Arbeiter« (innerhalb des Kulturbundes) zur Verfügung gestellt.
Den Anfang macht Nationalpreisträger Kurt Demmler, der ja neben seinem unermüdlichen Kulturschaffen auch noch Zeit gefunden hat, die sexuelle Befreiung künftiger Werktätiginnen voranzutreiben und seinen künstlerischen Anspruch »Jeder Mensch kann jeden lieben« auch vorbildlich im eigenen Leben umzusetzen und die vorrevolutionäre »pubertäre Geltungssucht« kleiner Mädchen zum gesamtgesellschaftlichen und persönlichen Nutzen zu kanalisieren. Jedenfalls konnte die Partei, die ihn immer geschützt hatte (»Beim DDR-Plattenlabel Amiga gab es unter Kollegen den Spruch: Wenn ein Mädel fünfzehn ist, ist es zu alt für Kurt.«*) irgendwann nichts mehr für ihn tun, da er sich zunehmend der Konterrevolution angeschlossen hatte:
1976 zählte er zu den Unterzeichnern der Protestresolution, die sich gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann wandte. … Im Wendeherbst 1989 gehörte er zu jenen, die unter die Resolution der Rockmusiker ihren Namen setzten. Bei der großen Demonstration in Ost-Berlin am 4. November 1989 trat Demmler auf dem Alexanderplatz auf und sang seinen Stasi-Spottsong »Irgendeiner ist immer dabei«.
Aber genug der Vorrede:
Lied, aus dem fahrenden Zug zu singen
Der Zug fährt auf stählernen Gleisen,
die haben wir selber gelegt,
dass sie auf den endlosen Reisen
ins Morgen die Richtung uns weisen
und daß unser Zug sich bewegt.Denn wir müssen alle weiterkommen.
Und da dürfen wir nicht zaghaft sein.
Jedes Ziel, kaum erreicht, ist schon wieder weggeschwommen.
Also, heizt ein!Der Zug nimmmt auch mit all die Feigen,
die meinen, man zahlt heut nicht mehr.
Die lassen wir kurz mal aussteigen,
nur kurz, und um ihnen zu zeigen:
Schwer läuft sich’s dem Zug hinterher.Denn wir müssen …
Der Zug macht viel Rauch und Geheule.
Und nachts fährt er mit Funkenflug.
Da grämt sich nur immer die Eule.
Der Zeiten der klapprigen Gäule
und Rindviecher sind nun genug.Denn wir müssen …
Und doch führt der Zug aus den Zeiten
der Väter manch großes Gepäck.
Es soll in den Wiesen und Weiten
der Zukunft Erinn’rung bereiten
und zeigen: Wir kommen vom Fleck.Denn wir müssen …
Der Zug jagt den glücklichsten Träumen
der Menschheit mit Macht hinterher,
jagt nach noch in luftlosen Räumen
des Alls, keine Stund’ zu versäumen,
und nähert sich mehr und mehr.Denn wir müssen alle weiterkommen.
Und da dürfen wir nicht zaghaft sein.
Jedes Ziel, kaum erreicht, ist schon wieder weggeschwommen.
Also, heizt ein!(Kurt Demmler)
Nun wollte ich natürlich hier noch das Lied in der Aufnahme mit dem legendären Oktoberklub einstellen, aber der Klassenfeind, der sich das revolutionäre Erbe unserer Volksdichter unter den Nagel gerissen hat, um es kommerziell zu verwerten, hat mir einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht:
Dieses Video enthält Content von Sony Music Entertainment. Es ist in deinem Land nicht mehr verfügbar.
Na schön. Wenn Sony erst verstaatlicht ist, wird die Kunst auch wieder dem Volke gehören, so wie unsere Heimat, die Städte und Dörfer und die Bäume im Wald, das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und besonders auch die volkseigenen Vögel in der Luft. Zur Strafe gibt es nun was anderes vom Oktoberklub, genauso schön und auch optisch ein Fest. Man beachte die Gesichter der Studiogäste (also derjenigen, die nur klatschen und nicht singen), und bei denen das sozialistische Bewußtsein zum Teil noch wachsen muß:
Und ehe das auch noch von den Kapitalisten gelöscht wird, schnell noch eins.
* Es gibt übrigens mindestens eine (damals) Fünfzehnjährige, die bezeugen kann, daß das empörender Mumpitz und üble Nachrede ist und Demmler sich durchaus auch für Fünfzehnjährige interessiert hat (vgl. erster Link im Text)!
Photo: © ABV
politbuerokrat
März 19, 2010
Wunderbare lieder! Wie im stechschritt die stiefel der siegreichen sowjetarmee auf den roten platz klatschen, so klatschen die genossInnen beim NRD in die hände: Im gleichtakt mit dem kampf für die gleichheit des menschen!
Und dieser liedtext:
„Der Zug fährt auf stählernen Gleisen,
die haben wir selber gelegt,“
Da kommt mir dieses bild in den sinn:
harrytisch2009
März 19, 2010
ein genialer gedanke, genosse, deines amtes zu walten und uns das kulturschaffen der bewusstesten elemente der klasse der werktätigen aus den goldenen jahren des antifaschistischen teils deutschlands wieder ins gedächtnis zu rufen.
so vollendete reime vermag nur ein mensch zu schmieden und uns zu schenken, der sich sexuell befreit hat, um auch andere sexuell zu befreien.
eine barbarei, wie die cia und die zionisten ihn unter drogen gesetzt hatten, damit er sich der konterrevolution andient. in unseren herzen ist er unvergessen, wie er war, als er noch selbstständig und im gleichklang der herzen mit der partei dachte!
Karl Eduard
März 19, 2010
Nun, offenbar kann der starke Arm des Mannes der Arbeit nicht nur alle Räder stillstehen lassen, sondern auch Gleise legen. Und der Gedanke, all die Feigen, die glauben, man müsse für die Wohltaten, die die entwickelte sozialistische Gesellschaft bereit hält, nicht mehr zahlen, mal kurz aus dem Wohlstandszug aussteigen zu lassen, der hat doch was für sich.
Und Cuba kann immer qualifierte Genossen gebrauchen, die das Land im Kampf gegen die Angriffe der imperialistischen USA und ihrer Helfershelfer unterstützen, als freiwillige Aufbaubrigaden. So könnte ich mir die Genossen Ernst oder Lözsch sehr gut an der Seite des Genossen Fidel Castro vorstellen, für mehrere Monate. Wie sie dort Erfahrungen sammeln in der Prävention von Morden, die es auch Cuba nicht gibt, weil es dort nicht Arm oder Reich gibt. Oder?
Blockwart
März 19, 2010
GenossInnen, ich bin enttäuscht von der Arbeit eures Kollektivs und werde alsbald Meldung bei den zuständigen Organen machen!=)
Bei der imperialistischen Hetzerzeitung „Die Welt“ stehen schon seit 12:56 Informationen über die Neuausrichtung unserer glorreichen Partei im Kampf gegen die spätkapitalistischen Ausbeuter bereit- hier auf der Meinungsbildungsplattform der Werktätigen steht jedoch noch nichts! Wurdet ihr von reaktionären Kräften infiltriert?
Ich hoffe dem ist nicht so und ihr werdet eure herrvorragende Arbeit im Sinne des Sozialismus wieder aufnehmen=)
harrytisch2009
März 19, 2010
gemach, gemach, genosse. es ist nichts, was wir nicht schon gewusst oder geahnt hätten. als teil der intellektuellen avantgarde der revolutionären arbeiterklasse und dadurch per definitionem mit höherem bewusstsein ausgestatteter gliederung erwarten die werktätigen von uns eine umfassende politische deutung solcher vorgaben.
dies setzt jedoch eine eingehende analyse und eine gut abgewogene entscheidung darüber voraus, wie und in welcher form die werktätigen darüber unterrichtet werden und wie wir sie am besten in die lage versetzen, die weisen beschlüsse ihrer revolutionären marxistisch-leninistischen partei zu begreifen. dazu müssen sie und müssen genossen wie du das denken schon uns überlassen.
politbuerokrat
März 19, 2010
Lenin hat vor 90 jahren gesagt, es könne nur noch 10-20 jahre bis zur weltrevolution dauern. Zweifellos ist es damit allerhöchste eisenbahn, aber hetzen wie in einem kapitalistischen geldscheffelbetrieb müssen wir trotzdem nicht. Morgen ist erstmal bolivien dran, denn ohne die entwicklungsländer wird sich der sozialismus bei uns auch nicht entwickeln.
Nostalgie
März 19, 2010
Es hat ja keine Eile mit dem Sozialismus, weil wenn jeder nach seinen Fähigkeiten und jeder nach seinen Bedürfnissen, dann schafft ja keiner mehr was.
Klarerweise ist das letztere ja erst im Kommunismus möglich, aber der Sozialismus führt da ja bekanntlich automatisch hin.
Deshalb gemach.
abschnittsbevollmaechtigter
März 19, 2010
Also ich will ja mal nicht kleinlich sein, aber jemand, der über 60 Jahre lang nicht mitgekriegt hat, daß er jetzt nicht mehr »Blockwart«, sondern »Hausbuchführer« heißt, sollte mal nicht so viele Wellen machen in Bezug auf Reaktionsgeschwindigkeiten. Freundschaft!
Karl Eduard
März 20, 2010
Hausvertrauensmann.
netzwerkrecherche
März 22, 2010
„Als ich kam durchs Oderluch“ war der passendere „Schlager“, der die Stimmung zwischen dem Tal der Ahnungslosen und dem abgesperrten Brocken, zwischen Braunkohlerevier und Wismarwerft am ehesten widerspiegelte: Kampfentschlossen und fröhlich, nix da von geistabgekehrter Tristesse! Nicht nur vom Oktoberklub zu singen, sondern steht auch fortschrittliche Krabbelgruppe zum Hausgebrauch in jedem neueren FDJ-Liederbuch.
netzwerkrecherche
März 22, 2010
… für die fortschrittliche Krabbelgruppe …
Ordnung muß sein!
abschnittsbevollmaechtigter
März 22, 2010
Kenn’ ich nicht, das Lied. Youtube kennt’s auch nicht. Sing mal vor!
netzwerkrecherche
März 23, 2010
Habe mein FDJ-Liederbuch gerade nicht zur Hand. Da aber im aufgeräumten Neubauwohnzimmerschrank des redlichen GenossIn die LP des Oktoberklub nicht fehlen darf, wird sie wohl auch beim ABV zu finden sein. Falls nicht, werte ich das als Desinteresse an den kulturellen Errungenschaften des Sozialismus, das in der Akte vermerkt wird.
abschnittsbevollmaechtigter
März 23, 2010
Das muß kein Desinteresse sein. Wie Du weißt, schläft der Klassenfeind nicht und hat schon manche revolutionäre Schallplatte feige aus abschnittsbevollmächtigten Neubauwohnzimmerschränken entführt. Als Kulturbeauftragter dieses Kollektivs kann ich übrigens per definitionem ja gar kein Desinteresse an den kulturellen Errungenschaften des Sozialismus haben, ob diese mich nun interessieren oder nicht.
netzwerkrecherche
März 24, 2010
Gut, wir müssen auch zugeben, daß unsere Amiga-LP nach 40 Jahren Einlagerung im Formaldehyd unseres sozialistischen Mobiliars in seine Bestandteile zerfallen ist, während uns der Keuchhusten einer zerfressenen Lunge davon abhält, uns mit dem Lied auf den Lippen singend den revolutionären Garden einzureihen.
Dennoch vorwärts:
Formaldehyd ist Fortschritt und Fortschritt ist Sozialismus!
Formaldehyd für alle!
harrytisch2009
März 24, 2010
weiser denkansatz. wir müssten bloß, um die geschlossenheit in der aktionseinheit mit den grünen genossinnen aus der kritischen intelligenz ein wissenschaftliches gutachten in auftrag geben, das beweist, dass formaldehyd klimaneutral ist und die vom menschen gemachte erderwärmung durch seine verstärkte verwendung gestoppt werden kann.
am besten, wir fangen schon mal an, spenden zu sammeln und nach geeigneten universitätsprofessoren ausschau zu halten. idealerweise auch – mit digicam ausgestattet – an den arbeitsstätten von sexarbeiterinnen, um im zuge des erstgespräches dezent auf gestochen scharfe fotos hinweisen zu können, die man doch gerne der jeweiligen ehefrau liebevoll eingerahmt als geburtstagsgeschenk zukommen lassen könnte…
Nostalgie
März 24, 2010
Ach ich glaube so kompliziert ist das gar nicht mit dem Gutachten.
Man muss nur klar machen, dass eine durch Formaldehyd und sonstige Errungenschaften der industriellen proletarischen Revolution zerfressene Lunge nicht mehr das böse klimaschädigende CO 2 ausatmen kann.
Ergo ist Formaldehyd klimafördernd, genauso wie Asbest und Kohlestaub.
Nostalgie
März 23, 2010
Du meinst der Klassenfeind wollte auch mal schlafen und suchte was zum einschläfern?
abschnittsbevollmaechtigter
März 23, 2010
Beim Oktoberklub kann der Klassenfeind doch nicht schlafen, da fürchtet der sich zu Tode: