Eilmeldung! Kanzlerin lenkt ein: Endlich Wohnungsmoratorium.

Posted on März 15, 2011 von

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Mitten in Deutschland: Schwerer Störfall an einem Haus. Trotz solcher Fälle war es der Wohnungsmafia bisher immer wieder gelungen, durch ihre guten Verbindungen zur Politik den endgültigen Ausstieg aus der Wohnungswirtschaft zu verhindern. Abbildung: © Abschnittsbevollmächtigter

Auch wenn es noch zu früh sei, die genauen Ursachen der Katastrophe zu analysieren, sei doch klar geworden, daß bei dem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami in Japan die weitaus meisten der Todesopfer von einstürzenden Gebäuden erschlagen worden seien.

Bundeskanzlerin Genossin Angela Merkel hat angesichts der massiven tödlichen Hauseinstürze in Japan die Überprüfung der Sicherheitsstandards bei allen deutschen Wohn- und Geschäftshäusern angekündigt. Dies werde gemeinsam mit den zuständigen Länderministern geschehen. »Die Geschehnisse in Japan sind ein Einschnitt für die Welt«, sagte Merkel am Samstagabend in Berlin. Wenn in einem solch hoch entwickelten Land wie Japan mit höchsten Sicherheitsstandards solche Unfälle passierten, könne »auch Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen«. Schon nach dem Einsturz der Zwillingstürme in Tschernoyork war eine intensive Debatte aller fortschrittlichen Kräfte entbrannt, ob das Risiko von Bauten, die über Gehsteigniveau ragen, für den Menschen beherrschbar sei, aber die Hausbau- und Vermieterlobby hatte in Deutschland mit der schwarz-gelben Bundesregierung sogar eine Laufzeitverlängerung für bestehende Gebäude aushandeln können und so den Ausstieg aus dem Wohnungswesen unterlaufen, den die fortschrittliche Vorgängerregierung schon beschlossen hatte.

In einem Moratorium, das vorerst auf drei Monate befristet ist, werden nun zunächst alle Häuser, die vor 1980 gebaut worden sind oder mehr als zwei Stockwerke aufweisen, baupolizeilich gesperrt.

Merkel betonte aber: »Wir wissen, wie sicher unsere Häuser sind.« Dennoch werde genau verfolgt, was die Analyse der Katastrophe in Japan ergebe. Auch auf EU-Ebene solle das Thema erörtert werde. Heute sei aber nicht der Tag, um über eine mögliche Änderung der Wohnunsbaupolitik von Union und FDP zu sprechen. Sicherheit sei für sie stets das oberste Gebot.

Die Europäische Union muß nach Einschätzung von Wohnungsbaukommissar Günther Oettinger Gebäude insgesamt auf den Prüfstand stellen. Die Katastrophe in Japan werfe die Frage auf, ob »wir in Europa in absehbarer Zeit ohne Häuser unseren Bedarf an Wohnraum sichern« können, sagte Oettinger am Dienstagmorgen in der ARD. Da mit Deutschland ein großes Mitgliedsland den Wohnungsbau auf den Prüfstand stelle, könne das Konsequenzen für die gesamte EU haben, sagte Oettinger. Der EU-Kommissar zieht zudem eine Sicherheitsprüfung für alle Häuser in der Europäischen Union in Erwägung. Die Entscheidung über die Technologie sei zwar die Sache der einzelnen EU-Länder, sagte Oettinger. »Aber für die Sicherheit ist Europa unteilbar.« Es stelle sich auch die Frage, ob die EU die Debatte auch gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, China und Russland führen müsse. In Brüssel treffen sich am Nachmittag die EU-Wohnungsbauminister, Vertreter von Fertigteilhausfirmen, der Baukonzerne und Bauämter zu einer Krisensitzung.
Bauminister Röttgen warnte davor, angesichts der Katastrophe in Japan über die Zukunft des Wohnungsbaus in Deutschland zu diskutieren. Zunächst müsse es um die Hilfe für die betroffenen Menschen gehen. Allerdings sei die Frage der Beherrschbarkeit des Hochbaus »heute neu gestellt worden«, sagte der Umweltminister.

Die Vorsitzenden der Linkspartei, Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, und der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi, erklären angesichts der Zuspitzung der Katastrophe in Japan: »Wir sind bestürzt über die jüngsten Ereignisse in Japan. Nach diesem Tag ist nichts mehr, wie es vorher war. Wir müssen jetzt weltweit umdenken. Die japanischen Wohnungen galten als die sichersten. Es ist spätestens jetzt klar, daß Häuser nicht beherrschbar sind. Wir brauchen ein weltweites Moratorium für den Wohnungsbau. Der Ausbau von Kapazitäten muß gestoppt werden. Deutschland muß sofort die Exportförderung für Baumaterialien einstellen. In Deutschland müssen wir zu einer Politik des systematischen Abrisses kommen, unverzüglich und unumkehrbar.«

Der SPD-Vorsitzende Gabriel sagte: »Wir sind am 12. März Zeugen des Endes des Hochbauzeitalters geworden.«

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck (SPD) forderte einen Ausstieg Deutschlands aus dem Wohnungsbau und die Rücknahme aller erteilten Baugenehmigungen. »Wir können nicht so tun, als seien Wohnungen in Deutschland absolut sicher. Wer dies tut, lügt sich in die Tasche.« Der Vorsitzende des SPD-Rats in Rheinland-Pfalz, Lewentz, forderte die CDU-Spitzenkandidatin Klöckner auf, ihre Zustimmung zu Bauvorhaben zurückzunehmen. Sonst bleibe sie eine »Erfüllungsgehilfin der Wohnlobby«.

Das in Mainz tagende Präsidium der SPD beschloß eine bundesweite Unterschriftenkampagne für eine »Wohnwende« ohne Häuser. Der SPD-Bundesvorsitzende Gabriel sagte nach der Sitzung, die »Botschaft« des Erdbebens sei, daß die Bundesregierung zu dem von der damaligen rot-grünen Bundesregierung von Gerhard Schröder beschlossenen Ausstieg aus der Wohnungsvermietung zurückkehren müsse. »Wir waren in Deutschland schon einmal weiter, als wir es heute sind. 2020 wollten wir aus der Gebäudenutzung ausgestiegen sein.« Bundeskanzlerin Merkel (CDU) habe nach der Bundestagswahl 2009 ein Streitthema wieder eröffnet. Das nun von Union und FDP ins Spiel gebrachte »Moratorium« für ältere Häuser nannte Gabriel einen »Trick«, um die kommenden Landtagswahlen zu überstehen. Gabriel sagte weiter, im Mittelpunkt der Debatte müsse neben dem Ausstieg aus der Hausbau und der sofortigen Stilllegung alter Häuser der rasche Umstieg auf erneuerbares Wohnen sein. Zur Verwirklichung dieses Ziels schlage die SPD eine Expertenkommission unter Leitung von Persönlichkeiten wie dem früheren CDU-Bundesbauminister Klaus Töpfer vor. »Wir müssen der Bevölkerung die Angst nehmen, daß Abrisse von Häusern zu Wohnungsmangel oder höhere Mieten führen.“

Frau Merkel fügte an, auch in der DDR sei es schließlich gelungen, durch die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik die Mieten über Jahrzehnte stabil zu halten. Die neu zu schaffenden Wohnungsämter würden dafür Sorge tragen, daß der nach dem Moratorium verbliebene Wohnraum nach sozialen Gesichtspunkten an unsere Bürgerinnen und Bürger zugewiesen wird.

Kritiker der Oppositionsparteien, die ihr vorwerfen, viel zu spät und nur wegen des medialen Druckes aus taktischen Gründen das Wohnungsmoratorium verhängt zu haben, verwies sie darauf, daß sie »schon immer einen sofortigen Stop jeglichen Wohnungsbaus gefordert« habe, »wenn auch bisher nur für Jerusalem«.

Joachim Wieland, Wohnungsexperte von der Hochschule Speyer, sagte zum Moratorium: »Das ist ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht nach Artikel 14 des Grundgesetzes.« Das baupolizeiliche Sperren bedeutet für die Vermieter Verluste – zumindest zeitweilig. Ob die Häuser nach dem Moratorium wieder bewohnt werden dürfen, hat Merkel offengelassen. Dennoch rechnet Wieland nicht damit, daß die Konzerne das Moratorium rechtlich angreifen werden. »Ich kann mir das angesichts der Lage in Japan einfach nicht vorstellen.«
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) begrüßte das Moratorium. »Die Zeit muß genutzt werden, um die Sicherheit der Gebäude zu überprüfen. Daß diese nach dem Moratorium wieder bewohnt werden, kann ich mir schwer vorstellen«, sagte der Regierungschef von Schleswig-Holstein. Er werde niemanden in ein Haus ziehen lassen, von dessen Sicherheit er nicht überzeugt sei, betonte er. Und auch von der Zuverlässigkeit des Vermieters müsse er überzeugt sein.

Der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU, Wittke, bezeichnete die Hauseinstürze in Japan als »epochalen Einschnitt«. Seit dem Wohnkonzept der Bundesregierung sei es Politik der CDU, »daß wir am Ende des Tages in Deutschland auf Wohnungen komplett verzichten wollen«. Wittke äußerte im Gespräch mit diesem Blog zudem, es gelte jetzt Wege zu finden, schneller aus der Wohnungsnutzung herauszukommen. Ein schnellerer Ausstieg habe allerdings zur Konsequenz, daß nun die alten Bunker von NVA und Bundeswehr einen größeren Beitrag für die Gestaltung des Übergangs leisten müssen.
Bereits am Samstag begann der FDP-Generalsekretär Lindner im Auftrag des Parteivorsitzenden Westerwelle mit der Formulierung eines Präsidiumsbeschlusses. Darin heißt es: »Der Hausbau war und ist für uns nur eine zeitlich befristete Brückentechnologie bis zu ihrem endgültigen Auslaufen.« Das klang früher noch anders. Früher hatte die FDP dafür gesorgt, daß der Forschungsstandort Deutschland auch weiterhin mit Hochbauwissen versorgt ist. In Wahlprogrammen wurde der »Abschied vom Wohnungsbau« als »falscher Weg« bezeichnet. Es war darum gegangen, deutsche Kompetenzen zu erhalten, auch um den Exportartikel »Haus« im Repertoire zu haben. Auch war erwogen worden, ältere Gebäude durch Neubauten zu ersetzen. Nun klingt es bei der FDP, als habe man beispielsweise an der Technischen Uni in Aachen nur Abriß- und Übergangsexperten ausbilden wollen. Schon kurz vor der Sitzung des Parteipräsidiums der FDP teilte Außenminister Westerwelle am Montagmorgen auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur mit: »Wir brauchen eine neue Risikoanalyse«. Und: »Wir haben nie eine Garantie für den Weiterbetrieb jedes einzelnen Hauses gegeben«, erklärte Westerwelle.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bekräftigte ihre Forderung nach einem Ausstieg aus der Nutzung von Gebäuden. »Wir müssen da so schnell wie möglich heraus«, forderte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Zollitsch, wollte sich der Forderung nach einem sofortigen Ende der Nutzung von Kirchen jedoch nicht anschließen.

Unterdessen regte sich in der Unionsfraktion Unmut über das Moratorium der Bundesregierung. »Ich bin nicht bereit, ohne Grund unser Wohnkonzept aufzugeben«, sagte Fraktionsvize Christian Ruck der »Rheinischen Post«. „Das Wohnkonzept beruht darauf, daß wir den Hochbau als Brückentechnologie noch eine längere Zeit brauchen, um den Ausbau der Laubhütten- und Erdhöhlenwirtschaft hochzufahren“, sagte der in der Fraktion für Wohnungspolitik und Gebäudesicherheit zuständige CDU-Abgeordnete.

Indessen arbeitet das Finanzministerium mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf, der für die trotz des Moratoriums verbliebenen restlichen Wohn- und Geschäftsräume eine Ökoabgabe in Höhe von zunächst 1,80 € je Quadratmeter vorsieht, die vom Vermieter einzuziehen und abzuführen ist und dem beschleunigten Ausbau von Erdhöhlen und Laubhütten zugute kommen soll. Während die Aktien von Hochbauunternehmen dramatisch einbrachen, konnten Aktien von Höhlen- und Laubproduzenten am Montag teilweise über dreißig Prozent zulegen.

Der Vorstandschef eines großen deutschen Wohnungsbauunternehmens erklärte zu den möglichen Konsequenzen, sein Unternehmen biete der Politik einen offenen Dialog zur Zukunft der sogenannten Altbauten an. Ein solcher Dialog könnte die Basis für einen neuen wohnpolitischen Konsens in Deutschland sein: »Mit einem solchen Dialog könnte dann auch die Akzeptanz für den dringend benötigten Erdhöhlenbau und die Gewinnung von Hüttenlaub erhöht werden.« Diese seien nötig, wenn der Ausbau der erneuerbaren Wohnungen gelingen solle. Er betonte: »Für uns ist Hausbau kein Selbstzweck, sondern er ist Teil einer sicheren, kohlendioxidarmen und bezahlbaren Wohnraumversorgung.“

Die Bundesregierung prüft derzeit auch ein Schiffsbaumoratorium, da etliche der Todesopfer in Japan auch von Schiffen und Booten erschlagen wurden, die von den Wellen des Tsunamis wie Spielzeuge an Land geworfen wurden. Hier müsse aber, so die Kanzlerin, eine internationale, zumindest eine europäische Lösung gefunden werden. Derzeit sei Deutschland ein Exportland von Schiffen. Zugleich wies Frau Merkel darauf hin, es dürfe nicht eine Situation entstehen, daß Deutsche von Schiffen der Nachbarländer erschlagen würden, die bei einem Tsunami an deutsche Küsten gespült würden. »Das kann und darf nicht unsere Haltung sein.«