Cacerolazo auf Deutsch: Kommt die D-Mark, bleiben wir!

Posted on Oktober 16, 2011 von

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Die Deutschin, der Deutsche und ihre jeweiligen Geschlechtgenoss_innen bereisen gerne ferne Länder und es muss dabei ja nicht immer ist  so katastrophal lebhaft zugehen wie in der Zeit zwischen 1939 und 1945. Reisen bildet, und Bildung regt zur Nachahmung an, denn wir Deutsch_innen verstehen etwas von Völkerverständigung, nicht nur im Schlechten, sondern auch im Guten, denn am deutschen Wesen soll die Welt genesen.

Wer in den „schönsten Wochen des Jahres“ nicht gesehen hätte, wie leicht und unbeschwert man am Strand von Cuba Salsa tanzt, oder den Limbo-Rock, wäre kaum auf die Idee gekommen, das auch mal zuhause auszuprobieren. Das gilt ganz genauso für die exotischsten Sprachen, Kochrezepte, Bastelarbeiten; vom Schamanismus bis zum Tango, von der isländischen Sprache bis zum Yoga, von der Steinerschen Anthroposophie bis zum traditionellen Fruchtbarkeitstanz der Hopi-Indianer: Das kann man alles auch in Wuppertal lernen.

Und da dem Deutschen und der Deutschin ein gewisser Hang zur Rechthaberei Perfektion nun mal nicht abzusprechen ist, kann es immer wieder vorkommen, dass die „gefühlten“ Eingeborenen Aborigines, also die deutschen Teilnhemer_innen eines x-beliebigen Volkshochschulkurses, mit den  „echten“ Aborigenes darüber in Streit geraten, wie es wirklich authentisch wäre; in der Regel wissen sie, die gefühlten Aborigines, die vor lauter Tanzen und Trommeln schon ganz schwarz im Bauch sind, „es“ besser als irgendwelche Zugezogenen, die womöglich auch noch schlecht angezogen integriert sind.

Schließlich und endlich: Die „echt italienische Pizza“ gibt es ja auch nur in Deutschland und jede/r Italiener_in, der oder die nicht bei drei unterm Stein liegen möchte, weiß die Deutschen in der Wahrnehmung zu bestätigen, dass sie immer recht haben, und es so richtig gutes italienisches Essen also nur nördlich der Alpen gibt, va bene.

Was für den Deutschen gilt, gilt für den Hamburger einmal mehr, denn der ist in vielem nicht bloß die Fortsetzung, sondern die Steigerungsform des nationalen Charakters mit anderen Mitteln. Also gibt es inder Freien und Hansestadt (mit dem scharfen „S“ von Kassel) nicht etwa die besten italienischen Pizzen, sondern die besten Pizzen von Deutschland, und wenn die Hamburger sich auf irgendetwas was einbilden, dann darauf, dass die was von Qualität verstehen.

Und Qualität hilft nicht bloß beim Essen, sondern in allen Lebenslagen, weiß der Hanseat, in den privaten und in den politischen, und ganz allein um letztere soll es im folgenden gehen. Denn was den Faible der Deutschinnen und Deutschen für andere Länder, andere Ständer Sitten anbelangt, auch da ist Hamburg vorne weg.

Hier will man das Beste nicht bloß haben, sondern sein, und weil Stillstand nun mal Rückschritt bedeutet, hat man es in Hamburg am vergangenen Oktoberwochenende bei viel Sonnenschein mal mit etwas gänzlich Neuem ausprobiert: ein Cacerolazo, im Stehen, sollte es sein, denn besonders bewegt und dynamisch wirkt das ganze noch nicht (s.o.), und das Klopfgeschirr war auch noch nicht da.

Sehen Sie sich im Vergleich dazu mal an, wie ein Cacerolazo im Original auszusehen hat – und Sie werden feststellen: Wir haben noch einen kleinen Weg zu gehen. Aber gemach: Den deutschen Hang zur Perfektion vorausgesetzt, wird es bald auch in Hamburg zugehen, wie in Buenos Aires, wenn man zu Zwecken der spontanen, „politischen“ Unmutsbekundung zum Kochgeschirr greift (Le Creuset sollte es in links der Alster aber schon sein, oder auch etwas Handgeschmiedetes aus Kupfer, man weiß schließlich, was man sich schuldig ist).

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Genoss_innen: So sieht ein „echter“ Cacerolazo aus!

Und so sieht hinterher das Kochgeschirr aus:

Und so sehen die idealtypischen Teilnehmer_innen aus (im Idealfall ohne T-Shirt) :

Und jetzt, liebe Hamburger_Innen, liebe Deutschinnen und Deutsche: An die Arbeit! Üben, üben, üben! Sich einfach nur auf den Rathausmarkt stellen mit der dicken Sonnenbrille auf ist noch keine Kunst. Aber vor allem ist es keine Leistung, und schon gar keine „politische“.

Beim Blick in die ausgemergelten Gesichter allerdings (s.o.) war das Autor_innekollektiv Hilde Benjamin kurzfristig am Überlegen, ob wir das Geld, das wir gerade an den „legitimen palästinensischen Widerstand“  im „Freiluft-KZ von Gaza“ überwiesen haben, nicht doch zurück beordern sollten, damit sich die Hamburger_innen jederlei Geschlechtlichkeit mal was Richtiges zum Essen kaufen können, vielleicht eine Bockwurst.

Denn es kann ja wirklich nicht angehen, dass mitten in Deutschland, mitten im Wohlstand, mitten in einer der reichsten Städte des Kontinents, solch ein Elend herrscht! Kein Louis-Vuitton, kein Lacoste, kein Coco Chanel – und dann erst diese Körpermassen, bei denen es sich nur um das Ergebnis jahrzehntelanger qualitativer Fehlernährung handeln kann, zuviel Kohlenhydrate (Mövenpick-Eiscreme und Lindt-Schokolade), zu wenig Eiweiß (Sushi, Kobe-Rind, Hummer) – unfasslich! Dass solch ein Elend mitten in Europa überhaupt möglich ist. Ruft Amnesty, ruft die Gesellschaft für bedrohte Völker!

Aber so zeigt der Kapitalismus nun mal seine hässliche Fratze, und wie sagt es der „politisch“ aufgeweckteste Demo-Teilnehmer ganz richtig? „Kapitalismus tötet“ – nämlich die Schönheit, die Anmut, die Lebensfreude – vor allem aber den Verstand.

Denn nur gegen die unschönen Folgen der modernen Geldwirtschaft zu demonstrieren, gegen den „Staatsbankrott“ und die „Schuldenfalle“, gegen den „Finanzkapitalismus“ und die „Heuschreckenmentalität“, die angenehmen Folgen der kapitalistischen Zirkulationssphäre aber  „genießen“ zu wollen, den Einkaufsbummel in der Innenstadt, den Urlaub in fernen Ländern, den kleinen Krämerladen an der Ecke, wo noch alles Handarbeit ist – sich also gerne auch mal etwas „gönnen“ zu wollen (Eiscreme, Schokolade), es aber nicht „gewesen“ sein zu wollen, wenn der große Kladderardatsch droht (nicht nur in Form von Übergewicht) – das ist in etwa so intelligent wie eine Demo dagegen, dass Regen nun mal nass macht.