Ein Denkmal für Pawlik

Posted on April 4, 2010 von

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Nachdem fortschrittliche Genossen schon nach Vorschlägen suchen, Straßen der Hilde-Benjamin-Stadt Bernburg nach Revolutionären zu benennen, will ich mich der Forderung des Genossen Gorki nach einem Denkmal für Pawel Trofimowitsch Morosow anschließen und ihm mit diesem Artikel gleich ein solches setzen.

Der fünfzehnjährige Morosow wurde im September 1932 tot in einem westsibirischen Wald aufgefunden. Im kriminalistschen bzw. historischen Sinne sind die Umstände seines Todes bis heute nicht geklärt, um so wichtiger ist es, von solchen bürgerlichen Kategorien wegzusehen und sich die offizielle sowjetische Version seines Martyriums zu vergegenwärtigen.

Morosow hatte in vorbildlicher Weise verinnerlicht, daß die Loyalität eines Sowjetmenschen nicht seiner Familie gilt, sondern der Sowjetunion. Also zeigte er seinen Vater an, der zwar Vorsitzender des Dorfsowjets war und als »fleißiger und nüchtern denkender Bauer« beschrieben wird, der »im Bürgerkrieg als Soldat der Roten Armee zweimal verwundet« wurde, aber eben auch ein Patriarch und Kulak war. Entweder hatte er Getreide versteckt oder falsche Papiere an andere Kulaken verkauft, die in die umliegenden »Sondersiedlungen« verbannt waren. Was auch immer, dat tut ja nix zur Sache: Er wurde deportiert und erschossen. Sein Vater war nicht der einzige Dorfbewohner, der von Pawlik denunziert wurde.

Einige Familienmitglieder wurden schließlich wegen Pawels Tod verurteilt und erschossen, nachdem Briefe und Telegramme aus dem ganzen Land sie in einem beispielhaften Akt sozialistischer Rechtspflege schuldig gesprochen hatten, und dieser wurde fortan zu einer wahren Ikone sozialistischer Propaganda. Nachdem Gorki herausgestellt hatte, daß Morosow »verstanden habe, daß auch ein Blutsverwandter ein Feind des Geistes sein kann und daß eine solche Person nicht verschont werden darf«, hagelte es Morosow-Erzählungen, -Filme, -Gedichte, -Dramen, -Biographien und -Lieder, die ihn als mustergültigen Pionier beschrieben, (wiewohl bürgerliche Kleingeister darauf hinweisen, daß es zu dieser Zeit in diesem sibirischen Kaff gar keine Pionierorganisation gegeben habe und Morosow, ein »schlechter Schüler und Unruhestifter«, von seiner eifersüchtigen Mutter zur Anzeige angestachelt wurde).

Aber was kann Kritik in der Sache schon einer sozialistischen Ikone anhaben? Der Morosow-Kult lief auf Hochtouren und Millionen Kinder durften lernen, daß ihre Loyalität Väterchen Staat zu gelten hatte und nicht irgendwelchen biologischen Vätern. Ein Pionier namens Sorokin erwischte seinen Vater beim Diebstahl von Kolchos-Getreide und ließ ihn von der Miliz verhaften, der Schüler Serjosha Fadejew erzählte dem Schuldirektor, wo sein Vater die Kartoffeln versteckt hatte und Pronja Kolibin wurde mit einer Reise in das Pionierlager Artek prämiiert, während seine Mutter auf seine persönliche Anregung hin ins Arbeitslager verreisen durfte. Pioniere forderten andere Kinder auf, Pawlik nachzueifern und ihre Eltern zu denunzieren, von einem Pionier wurde dies ohnehin erwartet. Schließlich schrieb eine sowjetische Zeitung, daß solche Pioniere als verdächtig zu behandeln und wegen mangelnder Wachsamkeit anzuzeigen seien, die keine Berichte über ihre Familien lieferten. So war Morosow nicht umsonst gestorben, sondern hatte durch seinen Tod geholfen, der jungen Generation den Geist allumfassender Wachsamkeit zu vermitteln.

Auch in der EUdSSR lebt der Geist Morosows, zum Beispiel in Großbritannien, wo die Kinderschutzbehörde Mitarbeiter von Kindergärten dazu auffordert, rassistische Vorfälle den Behörden anzuzeigen — etwa wenn den kleinen Rassisten fremdartiges Essen nicht schmeckt oder wenn sie Wörter wie »Blackie« oder »Paki« benutzen.
Selbst die fortschrittlichen KräftInnen der Autonomen Sowjetrepublik Germanistan pflegen Morosows Erbe und forçieren die weitere Vergesellschaftung der Erziehung durch Förderung von Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen, die schließlich die Kernforderung aller sozialistischen Bildungspolitik vorantreiben:

»… Es gilt, die Kinder von dem rohen Einfluß der Familie zu befreien. Wir müssen sie … nationalisieren. Von den ersten Lebenstagen an werden sie unter dem segensreichen Einfluß der Kindergärten und Schulen stehen … Die Mutter zu bewegen, uns, dem Sowjetstaat, das Kind zu überlassen, das soll unsere praktische Aufgabe sein.«

(aus: V. Sensinow, »Die Tragödie der verwahrlosten Kinder Rußlands«, Zürich/Leipzig 1930)