Obwohl wir einen großen Wert auf unsere antideutsche Ausrichtung legen, gibt es Momente, in denen selbst wir versucht sind, Schwarz-Rot-Gold auszuflaggen – wenn auch nicht ohne integrierten Modeschmuck in Form von Zirkel und Ährenkranz als Sinnbild des wissenschaftlichen Weltbilds.
Und so wie Weltmeistertitel in emanzipatorischen Genderdisziplinen wie Frauenfußball oder Frauenboxen, Spitzenleistungen beim Klimaschutz, erste Plätze bei Schulabbrechern oder Sex-Kenntnissen von Jugendlichen, international herausragende Linkslastigkeit in Medien und politischem Mainstream, Weltrekorde bei den Zustimmungsraten zu christophoben, antiamerikanischen und israelkritischen Überzeugungen oder die weltweit dritthöchste Anzahl an inhaftierten Homeschoolern nach Nordkorea und Simbabwe unsere patriotischen Wallungen beflügeln, so war es uns auch gestern eine Genugtuung, als vereinzelte Hupenklänge durch die Bernburger Talstadt bis ins beschauliche Waldau hallten, um den Sieg Lena Mayer-Landruts beim Eurovisions-Grand-Prix zu verkünden.
Die GenossInnen vom PPQ-Blog haben sich in einer eingehenden Analyse mit dem Phänomen der in ihrer Fähigkeit, zum richtigen Zeitpunkt bei Bedarf blank zu ziehen, zwangsläufig an alte Italo-Western erinnernden Trällertante aus Käß-Town befasst und im daran anschließenden Groupthink eine Parallele zu früheren Erfolgsrezepten der italienischen Fußball-Nationalmannschaft bei der Fußball-WM herauszuarbeiten vermocht.
Der Hallenser Genosse spielte dabei sicher auf 1982 an, als Paolo Rossi seine Glanzzeit hatte… wobei die Azzurri bereits in der Vorrunde ausgestiegen wären, wenn nicht Kameruns N’kono im letzten Spiel ausgerutscht wäre und so das 1:1 ermöglicht hätte…
Es liegt nahe, Lena Mayer-Landrut als die musikalische Fassung der Squadra Azzura von 1982 wahrzunehmen, allerdings fehlen bei Lena jene Glanzlichter, die aus der Mittelmäßigkeit ragen wie weiland Rossi beim 3:2 in der Zwischenrunde gegen Brasilien – und gerade das ist für ein strikt dem Ideal der Gleichheit verpflichtetes Blog wie dieses entscheidend, um Erfolge wie jenen Lena Mayer-Landshut äääh Landrut als Sieg des Fortschritts wahrnehmen zu können.
Wenn wir schon bei Vergleichen zum Fußball der 80er-Jahre sind: Lenas Musik ist so anregend und mitreißend wie das damalige Vorrundenspiel der DFB-Elf gegen Österreich in Gijon. Ihre Stimme – die einen hohen Wiedererkennungseffekt hat, wenn man mit gesangstechnischen Glanzleistungen aus der nächstgelegenen Karaokebar oder seines eigenen Kanarienvogels in angeheitertem Zustand vertraut ist – gleicht hingegen eher der rustikalen Spielweise Uruguays in der Vorrunde 1986. Reaktionäre behaupten auch, die Vorstellung, dass solche Musik in Europa mehrheitsfähig ist, wäre so beglückend wie Montezumas Rache, die im Rahmen dieses Turnieres durch die Mannschaftsquartiere schlich. Und exakt Lenas gefakter englischer Akzent hätte Günther Öttinger gefehlt, um bei seiner Antrittsrede als EU-Kommissar als Native Speaker wahrgenommen zu werden…
Der Sieg Lena Mayer-Landruts ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Rehellenifizierung unseres Kontinents. Erst war es die antielitäre Spielweise der griechischen Fußballnationalmannschaft, die mit dem Europameistertitel 2004 die Richtung vorgab. Später waren es die Staatshaushalte, die an dieses Level anknüpften. Und jetzt haben wir den singenden Beweis, dass auch in der Populärkultur auf breiter Ebene griechische Verhältnisse Platz greifen. Ein Kontinent zeigt, was Solidarität bedeutet und wählt einen Titel zum Sieger des Eurovisions-Grand-Prix, dessen Niveau jenes der Haushaltspolitik seines schwächsten Gliedes nicht überschreitet…
steinzeitmarxist
Mai 30, 2010
Das Ergebnis beweist wieder einmal die Reife der Europäer. 2006, als die Cowboys von Texas Lightning für Deutschland auf den Plan traten, wurden sie stellvertretend für den Imperialismus der Bush-Regierung mit einem schlechten Ergebnis abgestraft. So etwas brauchen wir nicht!
Ein Auftritt einer über reaktionäre bürgerliche Hemmungen schon frühzeitig hinausgewachsenen, ohne Ecken und Kanten auskommenden, Sping-Break-tauglichen und in exquisitem Oettinger-Englisch tirilierenden PISA-Abiturientin hingegen ist wegweisend für die Zukunft des aufgeklärten Kontinents.
Peter Kreuder
Mai 30, 2010
Wie ich Euren Stichworten entnehme liegt da ein Verwechselung vor. Käßmann kommt auch aus Hannover, kann aber nicht singen auch wenn sie gern mal einen zwitschert.
Lena dagegen ist noch ein relativ unbeschriebenes Blatt und ich weiß nicht mal, ob sie in der rotgrünen Landeskirche Hannover ist. Und: Sie gibt ja keine intimen Interviews; vielleicht stellt sich heraus, daß sie eine stramme Kommunistin ist und dann seht Ihr ganz schön doof aus, wenn ihr zurückrudern müßt.
Wem Hits allerdings generell nicht gefallen, der sollte einfach andere Musik hören. Kein Teenager wird sich von miesgrämigen Politkommissaren vorschreiben lassen, was er unter der Dusche trällert. Und die Mehrheit der Anrufer in Europa und darüberhinaus hat ohnehin schon per Telefonabstimmung über die Relevanz dieses Artikels entschieden.
harrytisch2009
Mai 31, 2010
Wenn wir schon bei der Genossin Käßperson sind: Wie viele Kreuder hast Du denn heute eigentlich schon gezwitschert, Genosse Kreuder? Vielleicht kannst du ja damit bei Lena im Background singen… 🙂
DFD-Vorsitzende
Mai 31, 2010
Ja, Hannover – die Käßperson hebt – gesalbt mit Weisheit und gekrönt mit Sendungsbewußsein den Vatikan aus den Angeln und die kleine dingsda revolutioniert die reaktionäre deutsche Klassik – und das an einem Wochenende, wenn das kein Klassensieg ist …. 🙂
Was singt die eigentlich, Genosse? Mir können nicht amerikanisch.
Geier
Mai 31, 2010
Nu gönnt dem armen Frollein doch mal ihren Erfolg. Sie hat ihn bitter nötig, damit sie sich endlich mal eine Hose in ihrer Größe und ohne Löcher kaufen kann.
DFD-Vorsitzende
Mai 31, 2010
Danke Genosse Geier, die Pose könnte von Wladimir Iljitsch sein, das sieht vielversprechend aus …
Karl Eduard
Mai 31, 2010
Es hat das zukunftweisende gefehlt, in ihrem Song, der positive Ausblick auf den Sieg des Sozialismus. Kurz, der sozialistische Realismus. Inakzeptabel.
Elisabeth
Mai 31, 2010
Genosse Karl Eduard, hier bist Du ein wenig streng. Lenas Sieg in Oslo hat die MenschInnen in Deutschland aus einer Krise herausgeholt. Jetzt sind wir wieder wer, wir sind Songcontest Sieger! Ein kleines bißchen positive Stimmung tut uns doch allen gut. Und es ist auch gut zu wissen, dass Lena die Wirtschaft angekurbelt hat, weil sie sich neue blaue Unterwäsche gekauft hat. Man wird Lena nochmal in einem Atemzug mit Leo Spieß , Ottmar Gerster und Lew Knipper nennen, lassen wir ihr doch noch ein paar Jahre Zeit, bis sie ihr Talent so richtig entfaltet.
Komsomolze
Mai 31, 2010
Genosse Karl-Eduard, gestatte mir die Anmerkung, dass dieses Persönchen noch bildungsfähig ist. Der würde ich gerne unter die Arme greifen… Die Hände halten natürlich die „Junge Welt“, ihr Haggschn!
Иосиф Виссарионович Джугашвили
Mai 31, 2010
Eine ernste Ermahnung kann euch nicht erspart werden, Towarischtschi!
Offenbar missachtet ihr die zweite Hälfte der Resolution der Zweiten Internationale zur geistigen und körperlichen Hygiene. Entfernt endlich das Ohrenschmalz aus euren Gehörgängen, das euch am Vernehmen linientreu ventilierter revolutionärer Botschaften hindert!
So musste euch auch verborgen bleiben, dass die junge Komsomolzin aus Hannover mit „Like a Satellite“ an den größten technologischen Fortschritt gemahnte, der der Welt jemals zuteil wurde, und zwar gleich zweifach:
„Like a“ meint natürlich die unsterbliche Pionierin sowjetischen Forschergeists, die Hündin und Genossin Laika, die unerschrockene Umkreiserin des damals noch kapitalistischen Erdballs, zu dessen Transformation in die heutige sozialistische Kugel sie maßgeblich beitrug.
Und woran will uns die nicht minder unerschrockene Aktivistin Meyer-Landluft mit „satellite“ erinnern? Woran? An den Sputnik, liebe harthörige Gesinnungsfreunde! An den ersten bemannten Satelliten unserer atheistischen Zeitrechnung, der die dekadenten Kapitalisten so sehr zum Schlottern brachte, dass sie daraufhin mit Hilfe der wenigen Linken, die es in Hollywood gibt, eine Mondlandung türkten und sendeten, die (wie wir alle wissen) in den Wüsteneien Arizonas inszeniert wurde.
Also macht euch die Ohren sauber, jeder Machorka-Stummel reicht dazu wochenlang, hört richtig hin — und leistet unserer siegreichen Genossen Abbitte; denn „Like a Satellite“ bedeutet nichts anderes als „Laika, Sputnik“.
Freilich hätte sie auch den verewigten Helden der Sowjetunion, den Genossen Juri Gagarin, in ihrem Lied erwähnen können, der den Sputnik pilotierte, leider aber kurz darauf dem Methylalkohol sowjetischen Wodkas zum Opfer fiel, wie er für Nichtangehörige der Nomenklatura destilliert und gesetzlich mit einem Blindenhund pro Karton à 6 Flaschen ausgeliefert wird … aber Juri in seiner Volksverbundenheit — wiewohl mit dem Anrecht auf Funktionärs-Wodka belohnt — neigte leider dazu, aus Solidarität mit den Arbeitern und Bauern der UdSSR deren Billigflaschen zu leeren, ohne den Blindenhund mitzunehmen.
Stachanow, ein Leuchtturm der Solidarität, hätte nicht anders gehandelt. Vielleicht wird Lena ihm in ihrem nächsten das überfällige Denkmal setzen. Der Weg, den sie eingeschlagen hat, verdient jedenfalls höchstes Lob und weist in eine lichte, fortschrittliche Zukunft.
Иосиф Виссарионович Джугашвили
Mai 31, 2010
Pardon, Genossen! Typfäler.
Im drittletzten Absatz muss es heißen: „… leistet unserer siegreichen Genossin Abbitte;“
Karl Eduard
Juni 1, 2010
Jedes Herausholen aus der Krise verzögert aber die siegreiche sozialistische Umwälzung der bestehenden Machtverhältnisse, die DIE LINKE nun nur noch durch Abstimmen erreichen will. Die Genossin Lena hat damit dem Menschheitsfortschritt keinen wirklichen Dienst erwiesen. Zum Glück hat der Rücktritt des Bundesmärchenonkels das Land in tiefe Depressionen gestürzt, aus der es nur noch die Talibanflüsterin herausbeten kann. Aber die ist ja schon auf dem Weg zum Hindukusch, die GUTE.
DFD-Vorsitzende
Juni 1, 2010
Genosse JWD,
deine überaus tiefsinnigen Äußerungen, durchdrungen von heroischer Treue zum proletarischen Schluß- und Endsieg über die heimtückischen und hinterlistigen reaktionären Kräfte, bewegen unsere MännInnen immer wieder und versetzen uns in eine ehrfürchtige Schockstarre. Aus dieser Starre, die uns alle mit offenem Mund dasitzen läßt, können wir nur immer wieder herauskommen, wenn wir unseren Bewegungsapparat mit einer entsprechenden Gemisch aus Wodka, Kumpeltod und Eiern aus sozialistischer Hühnerhaltung – genannt Eierlikör – auflockern, wonach wir wieder in der Lage sind, proletarische Parolen zu skandieren, wie gestern, als unser Jürgen in der Telewischen war und Klartext redete wegen diesem Horscht, da haben wir nur immer wie die Wilden gekreischt: „Jürgen tritt ihn, Jürgen, tritt ihn –!“
So ein Anfeuern ist verläßlich, wenn man den Sieg will, wie wir das damals beim Mixa gemacht haben – dieses „Hau nei, hau nei, hau nei!“ Das hat auch geholfen.
Ich hoffe, verehrter Genossen du würdigst unsere Bemühungen im Hintergrund der großen Politik.
Und tiefen Dank, Genosse für die Übersetzung des Lena-Liedes. Der Name Lena allein bringt doch schon die tiefe Verbundenheit dieser Komsomolzin mit ihrer geistigen sowjetischen Heimat zum Ausdruck, wie im Fluß Lena die kommunistische Idee durch die ganze UdSSR geflossen ist, so führte Landshuts Lena die kommunistische Idee nun endlich in ganz Europa ein.
Mit sozulistischen Gruß
DMD-Vors.
Komsomolze
Juni 1, 2010
Genossen und Genossinnen, ich bin platt. Von der tiefen Weisheit der letzten drei Kommentare habe ich mehr Erkenntnis saugen können als von der gründlichen Lektüre von „Erde, Weltall, Mensch“! Ich danke Euch in tiefer Selbstkritik – danke, dass Ihr mir nicht den Parteistern von der nackten Brust gerissen habt!Gibt es da einen Hintersinn – Stachanow, der Stoßarbeiter, Lena – und Hockauf?
jahresendfluegelpuppe
Juni 2, 2010
Womit wir uns auch unbedingt befassen müssen, ist die Frage des Veranstaltungsortes für den Eurovisions-Grand-Prix im nächsten Jahr. Köln sollte dabei ausscheiden, da dort die Reaktionäre von der Pro-Bewegung im Stadtrat vertreten sind und dies ein schlechtes Bild in Europa abgeben könnte – vor allem, wenn sie gegen einen allfälligen Ausschluss des Apartheidstaates Israel demonstrieren würden.
Hamburg, Berlin und Hannover sind hingegen alle sehr fortschrittlich. Im letzteren Fall sollte unbedingt die Genossin Käßperson das Event moderieren oder zumindest das Catering organisieren können.
Allerdings fällt mir noch ein: Die Halle am Fernsehturm auf dem Schweriner Dreesch II könnte auch wieder einmal ein größeres Event gebrauchen, nachdem die „Beinharte Bagaluten-Wiehnacht“ den Standort gewechselt hat und auch nicht mehr jedes Jahr eine DDR-Produkte-Messe stattfindet.
Unser AutorInnenkollektiv würde selbstverständlich auch die Bernburger Bruno-Hinz-Halle als potenziellen Veranstaltungsort begrüßen. Dann könnten wir live berichten, ohne dass wir Hotel- oder Fahrtkosten veranschlagen müssten.
Aber Hauptsache es wird nicht Bonn…